„Wir freuen uns über jedes zugenommene Pfund“

Die Ärztin Cordula Barthe berichtet aus dem Krankenhaus in Am Timan im Tschad

Foto: Ärzte ohne Grenzen
Foto: Ärzte ohne Grenzen

Seit drei Monaten arbeite ich mit ärzte ohne grenzen im Distriktkrankenhaus in Am Timan. Ich bin seit mehr als 30 Jahren Ärztin, seit 25 Jahren Allgemeinärztin und Psychotherapeutin mit eigener Praxis in Deutschland. Nie hätte ich mir träumen lassen, wie gut ich alle meine Erfahrungen aus diesen ganzen Jahren hier würde gebrauchen können! Alles, was ich als Ärztin an Know-how mit eigenen Händen, Ohren und Augen erworben habe, kann und muss ich hier anwenden.

ärzte ohne grenzen unterstützt in Am Timam die Kinderabteilung, die mit bis zu 50 Betten ausgestattet ist und betreibt ein Intensivkrankenzimmer. Außerdem unterstützen unsere Teams seit Anfang 2010 die Geburtshilfe. Neben sicheren ambulanten Entbindungen machen unsere Mitarbeiter im Notfall auch Kaiserschnitte und können so viele Leben retten. Bei Komplikationen stehen genügend Betten zur stationären Versorgung zur Verfügung. Zusammen mit meinen zwei Kollegen von ärzte ohne grenzen stellen wir rund um die Uhr einen Bereitschaftsdienst für alle Abteilungen. Obwohl ich eine erfahrene Allgemeinärtzin bin, erwarten mich hier fast jede Nacht eine Vielzahl von Problemen aus Geburtshilfe und Pädiatrie, die ich dank der Unterstützung meiner afrikanischen Kollegen und zuverlässiger Behandlungsprotokolle meistere

Verbesserung des Laborangebotes

Im Laufe des Jahres 2011 hat ärzte ohne grenzen das Laborangebot erweitert. Unsere Teams können jetzt sichere Bluttransfusionen vornehmen, Nieren- und Leberwerte messen, sowie die CD4-Messung zur Sicherstellung eines günstigen Behandlungsbeginns und -verlaufes von HIV-Erkrankten durchführen. Darüber hinaus verstärken ein Arzt – das ist meine Funktion - und drei Krankenpfleger sowie eine Beraterin das Behandlungsteam für die ambulanten und stationären HIV- und Tuberkulose-Patienten.

Programm zur HIV-Prävention für Mutter und Kind

Außerdem haben wir 2011 mit viel Engagement ein Programm zur Prävention der HIV-Übertragung von Mutter aufs ungeborene Kind begonnen. Im Krankenhaus und in den Gesundheitszentren im und außerhalb des Stadtgebiets sowie in den mobilen Kliniken auf dem Land haben nun werdende Mütter, die zur Schwangerenvorsorge kommen, die Möglichkeit, sich auf HIV testen zu lassen. Unsere Teams beraten und behandeln die Patientinnen, sodass sie frühzeitig ihren Status kennen und ihre zukünftigen Kinder geschützt werden können. Das Angebot wird von den Frauen gut angenommen – Voraussetzung dafür ist jedoch, dass wir durch Aufklärung und Gesundheitserziehung für die Kenntnisnahme der Krankheit sensibilisieren. So hoffen wir, dass auch im Tschad bald nicht mehr so viele Frauen und Kinder an Aids sterben müssen.

Frühzeitige Behandlung von HIV/AIDS

Gerade Frauen erfahren oft erst von ihrer Erkrankung, wenn sie in einem fortgeschrittenen Stadium stationär aufgenommen werden müssen. Häufig ist es eine lange Durchfallerkrankung oder die Tuberkulose, die die dahinterliegende HIV–Infektion offenbart. Gerade die Tuberkulosekranken erlebe ich zutiefst dankbar über die Möglichkeit, hier im Krankenhaus wieder gesund zu werden. Sie sind alle ausgemergelt, wenn sie zu uns kommen. Erwachsene Frauen wiegen manchmal nur 20 kg oder Männer nur knapp 40 kg, so dass sie längst nicht mehr allein stehen können, sondern schon zuhause lange bettlägerig waren.

Mich berührt jeder einzelne dieser Menschen zutiefst, weil ich erlebe, wie schlecht es ihnen anfangs geht - sie husten, haben große Atemnot, sind voller Schmerzen und kaum in der Lage noch zu essen. Viele Wochen müssen wir zusammen durchhalten, denn oft gibt es schwere Anämie (Blutarmut) und Durchfälle oder andere Infektionen mit vielen Komplikationen. Und dann eines Tages sehe ich zum ersten Mal ein Lächeln, wenn ich zur Visite komme und mein Händedruck wird erwidert – zum ersten Mal ist die Kraft dazu wieder da. Und wenige Tage später kann dieser Mann, diese Frau zum ersten Mal allein auf der Waage stehen und wir freuen uns gemeinsam Tag für Tag über jedes zugenommene Pfund!

Die meisten Menschen hier im hintersten Winkel des Tschad haben ein so schweres Leben, dass es nur ums tägliche Überleben geht, so dass Gedanken über das Morgen kaum eine Rolle spielen. Daran musste ich mich erst gewöhnen, zu selbstverständlich ist uns das ergebnisorientierte Denken. Leider kommen immer noch viele Patienten zu spät, gerade im fortgeschrittenen Aidsstadium können wir manchen nicht mehr helfen.

Voneinander lernen im internationalen Team

Mit meinen nationalen MSF- Krankenpflegern hier in der HIV/ TB Abteilung bilde ich ein gutes Team: wir können uns aufeinander verlassen. Auch wenn es mit der Sprache bei mir am Anfang etwas haperte, haben sie doch gemerkt, wie ich mit Leib und Seele bei der Arbeit bin, nie die Geduld verliere und versuche, immer das Beste für den Patienten zu tun. Meine Kolleginnen und Kollegen bringen mir ihre Lebenseinstellung und Gedanken nahe und in der Zusammenarbeit mit ihnen versuche ich, ihnen das beizubringen, was sich mir in den vielen Jahren der Praxis bewährt hat. Wir lernen voneinander. Zum Beispiel haben wir eine tägliche Problem-Besprechung eingeführt, in der wir gemeinsam überlegen, wie wir unsere Arbeit verbessern können. Meine Kollegen nehmen die angebotenen Fortbildungen gerne an und gemeinsam freuen wir uns, wenn wir den Erfolg unserer anstrengenden Arbeit an einem genesenden Patienten sehen.

Zusammenarbeit mit staatlichen Krankenpflegern

Auch haben wir in diesem Jahr eine gute Zusammenarbeit mit den staatlich angestellten Krankenpflegern in Gang gesetzt, damit sich auch die Qualität ihrer Arbeit verbessert. Sie sind die Ausführenden des staatlichen Tuberkulose – Protokoll. Sie nahmen unsere Unterstützung durch stationäre Vollbetreuung der HIV- und TB-Patienten, durch Fortbildungen und gemeinsame Visiten zunächst zögernd, nun aber gern an, sodass sie mit qualitativ guter medizinischer und pflegerischer Betreuung fortfahren können, wenn unser Projekt einmal zum Abschluss kommen wird.

Am Timan, den 27.11.2011, Dr. med. Cordula Barthe